Den Menschen in Lüdinghausen ist Ruth Weiss wahrlich keine Unbekannte, lebte sie doch seit 2002 für rund 10 Jahre in der Steverstadt. Doch die Journalistin und Autorin weiß noch eine viel längere Geschichte zu erzählen – eine Geschichte aus einem äußerst bewegten und zum Nachdenken anregenden Leben. Regelmäßig sucht die ehemalige Lüdinghauserin darüber das Gespräch und den Austausch mit Schülerinnen und Schülern. So hat sie das Gymnasium Canisianum nach 2014 jetzt erneut besucht.

Es ist ein eindrucksvolles Leben, aus dem Ruth Weiss sehr anschaulich und eindringlich erzählen kann – ein Leben geprägt von den Begegnungen mit gesellschaftlicher und politischer Ausgrenzung und Diskriminierung. Die rund 100 versammelten Schüler und Lehrer lauschten gebannt den Worten von Ruth Weiss als diese über ihre Kindheit in ihrer Heimatstadt Fürth berichtete. Dort war sie am 26.Juli 1924 als Kind jüdischer Eltern geboren worden. Fürth war seit dem 15. Jahrhundert zu einem Lebensmittelpunkt für viele jüdische Familien geworden, schilderte Weiss. Das Zusammenleben mit den dort ansässigen christlichen Familien sei weitgehend reibungslos verlaufen. Dieses habe sich mit dem 30. Januar 1933, dem Tag der Machtübernahme der Nationalsozialisten, drastisch geändert. Ruth Weiss besuchte zu der Zeit eine Schule in einem kleinen Dorf nahe Fürth. „Ich kam am nächsten Morgen in die Schule und war auf einmal allein. Meine Banknachbarinnen mieden mich. Der Lehrer nahm mich nicht mehr wahr. Ich konnte das Alles nicht verstehen“, so Ruth Weiss. Sie schilderte die Einsamkeit, die Ausgrenzung, die plötzlich über sie hereinbrach. Der Vater verlor seine Arbeit, die Familie kam bei Verwandten unter.

1936 zog Weiss mit ihrer Mutter und Schwester nach Johannesburg in Südafrika, nachdem ihr Vater bereits 1933 ausgewandert war. Doch auch in Südafrika, so schilderte Weiss, habe sie schnell eine andere Form von Rassismus kennenlernen müssen: den Rassismus gegenüber den farbigen Menschen im Land. Ruth Weiss habe sich mit dieser Form des Rassismus nicht abfinden können und deswegen 1966 das Land verlassen müssen. Erst 1991 durfte sie zum ersten Mal wieder den Boden Südafrikas betreten.

Zwischen den eindrucksvollen Schilderungen der 96-Jährigen trug ihr ebenfalls anwesender Verleger Lutz Kliche kurze Ausschnitte aus der Autobiographie „Wege im harten Gras“ vor. Während des über 90-minütigen Besuches herrschte in der Cani-Aula eine sehr aufmerksame Atmosphäre, so gebannt waren die Schüler von Ruth Weiss Erzählungen. Schulleiter Michael Dahmen zeigte sich beeindruckt von der geistigen Frische und den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten der 96-Jährigen. Vor allem aber griff er den Impuls von Ruth Weiss auf, auch in unserer Zeit jeglicher Form von Rassismus und Ausgrenzung zu widerstehen. „Wir versuchen am Cani, als Schulfamilie respektvoll miteinander umzugehen, unabhängig von Religion und Herkunftsland. Ich bin stolz auf unsere Schülerinnen und Schüler, die sich eigenverantwortlich aufgemacht haben zu einer Schule ohne Rassismus.“

(DA/TA/HL)